Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zur Nacht- und Schichtarbeit

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Der Bio-Rhythmus

Der menschliche Organismus ist tagesaktiv und während der Nachtzeit auf Ruhe und Erho¬lung eingestellt. Diese ,Bio-Uhr‘ ist kaum veränderbar, nur dann, wenn sich der Mensch völlig von seiner Umwelt abschottet.

Nachts …
haben Herztätigkeit und Kreislaufregulation ihr Minimum.

Nachts…
hat das Atmungssystem sein Funktionsminimum (auch wenn man wach ist!).

Nachts…
ist die Sauerstoffaufnahme und Kohlendioxydabgabe geringer.

Nachts…
ist das Blut wasserreicher, gegen Morgen werden neugebildete rote Blutkör­perchen im Blut ausgeschüttet.

Nachts…
erreicht die Absonderung der zur Verdauung dienenden Magensäure das Mi­nimum, unabhängig von Schlaf und Nahrungsaufnahme.

Nachts…
verringert sich die Lebertätigkeit

Nachts…
ist die Nierenfunktion herabgesetzt, deshalb können auch weniger Substanzen im Harn ausgeschieden werden.

Nachts…
Erreicht die Körpertemperatur ihr Minimum, die Hauttemperatur ihr Maximum. Der Körper neigt zum schwitzen

Nachts…
und zwar nur nachts, erreicht der Mensch jene Tiefschlafphasen (jeweils 30 -60 Min.), in denen für die Wiederherstellung der Zellen notwendigen Hormone ausgeschüttet werden.

Nachts…
erreichen Wahrnehmungsleistungen und Konzentrationsfähigkeit (Nerven­system und Sinnesorgane) ihr Minimum.

Nachts…
ist die muskulöse Leistungsfähigkeit herabgesetzt.

Nachts…
erreicht die Körpertemperatur ihr Minimum, die Hauttemperatur ihr Maximum. Der Körper neigt dadurch nachts zum Schwitzen.

Der menschliche Organismus kann sich auf die nächtlichen Anforderungen ein­ stellen, aber nicht um stellen. Bei Schichtarbeit findet somit entgegen der verbreiteten Auffassung keine Anpassung des Körpers an die veränderte Arbeitszeit statt. Schichtarbeit bedeutet ein Leben gegen die innere Uhr!

 

Erhöhte Belastungen durch Schichtarbeit

Durch die oben beschriebenen nächtlich herabgesetzten biologischen Körperfunktio­nen müssen bei gleicher Leistungsabgabe die Leistungsreserven des Körpers tiefer ausgeschöpft werden.

Nachtarbeit geht somit an die Substanz des Menschen.

Die unterschiedlichen Belastungen von Schichtarbeitnehmern während der verschie­denen Schichttypen werden nachfolgend verdeutlicht.


Belastungsabforderung durch verschiedenen Schichttypen

Um in der Spät- und Nachtschicht die gleiche Arbeitsleistung wie in der Frühschicht zu erbringen, entsteht eine wesentlich höhere körperliche und geistige Belastung. Dass heißt, dass sich die Arbeitsbelastung der Nachtschicht gegenüber der Tag­schicht um über 50 % erhöht.

Auch Arbeitnehmer, die in einem Früh-/Spätschichtwechsel beschäftigt sind, unter­liegen einer höheren Belastung als Tagschichtler, da die Arbeitszeit während der Spätschichtphase in der den Menschen stärker belastenden Zeit liegt.

Trotz dieser zusätzlichen Belastung muss der Schichtarbeiter in Spät- und Nacht­schicht die gleiche Leistung erbringen wie am Tag. Somit werden die körperlichen und geistigen Reserven des Menschen stärker angegriffen bzw. aufgebraucht.

Eine weitere Ursache, dass sich der Körper nicht völlig auf den Nachtarbeitsrhythmus umstellen kann, sind die sozialen Zeitgeber. Damit ist nicht der Hell-Dunkel-Wechsel gemeint, sondern das Zeitbewusstsein und die sozialen Kontakte, also soziale Zeit­geber. Nur, wenn man in andere Zeitzonen reist, beispielsweise nach Amerika, passt sich der Körper an die neue Tagesrhythmik an. Aber auch das dauert 4 bis 14 Tage.

 

Regenerierung durch Schlaf

Im Verlauf eines Nachtschlafs lassen sich in der Regel 4 bis 5 rhythmisch wieder­kehrende Schlafperioden von rund 90 – 120 Minuten Dauer unterscheiden.

Dabei teilt sich der Schlaf in zwei Phasen auf:

  • Die Tiefschlafphase,
    die wichtig für die körperliche Erholung ist.
  • Die Traumphase,
    die wichtig für die geistige Erholung ist.


Schlafperioden und Schlafstadien während des Nachtschlafs

Diese Abbildung verdeutlicht, wie sich der Schlaf während der Nacht bei einem vor Mitternacht zu Bett gehenden Menschen mehrmals vertieft und verflacht. Die Tiefschlafphase ist um Mitternacht am längsten und tritt 1 bis 2mal ein, wobei sie schon in der zweiten Periode wesentlich kürzer ist als in der zweiten. Analog dazu werden während des weiteren Schlafverlaufes die Traumphasen länger.

Beim Tagschlaf, wie ihn z.B. ein Schichtarbeitnehmer hat, fallen diese Tiefschlafpha­sen ganz aus oder werden wesentlich verkürzt. Da in den Tiefschlafphasen ein Wachstumshormon im Körper ausgeschüttet wird, das für die Wiederherstellung der physischen Leistungsfähigkeit sehr wichtig ist, wird ein Nachtschichtarbeiter um we­sentliche Aspekte seiner körperlichen Erholung gebracht.

Dadurch wird besonders bei Nachtschichtarbeitern die körperliche Erholung stark eingeschränkt. Hinzu kommen noch weitere Beeinträchtigungen des Tagschlafes u. a. durch Verkehrslärm und Kinderlärm, der am Tag wesentlich höher ist als nachts. Schlaftabletten helfen nicht, um Tiefschlafphasen zu erreichen.

Als Folge treten häufig Stress, Erkrankungen am Herzen und im Kreislaufsystem auf.

Dieses Wissen um die Belastungen und Gesundheitsgefährdungen der Schichtar­beitnehmer, muss bei der Gestaltung von Schichtplänen unbedingt ihre Berücksichti­gung finden. Nur so ist es möglich, die Belastung durch Schichtarbeit für die betroffe­nen Menschen so gering wie möglich zu halten.

 

Arbeitswissenschaftliche Empfehlungen

Die Einbeziehung der arbeitswissenschaftlichen Empfehlungen in die Arbeitszeitgestaltung ist im Arbeitszeitgesetz geregelt.

Demnach ist die Arbeitszeit der Nacht- und Schichtarbeitnehmer nach den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit festzulegen. (§ 6 ArbZG)

Durch die gesetzliche Grundlage soll die Sicherheit und der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeitsplatzgestaltung gewährleistet sein und somit eine gesundheitsgerechte Gestaltung der Arbeitszeit für die Arbeitnehmer sicher gestellt werden.

 

Probleme von Schichtarbeitnehmern

Die Probleme von Schichtarbeitnehmern wurden durch empirische Langzeitstudien von Arbeitsmediziner wie folgt ermittelt:

  1. Der Tagschlaf nach Nachtschichten ist kürzer als der normale Nachtschlaf
  2. Die Qualität des Tagschlafs ist aufgrund der Umwelteinflüsse schlechter
  3. Anhäufung von Schlafdefiziten bei langen Nachtschichtblöcken
  4. Schlafstörungen sind auch noch Jahre nach dem Ausstieg aus der Dauernachtarbeit vorhanden
  5. Leben gegen die „innere Uhr“
  6. Unregelmäßige Nahrungsaufnahme und gestörte Verdauung
  7. Erhöhtes Risiko von Erkrankungen (z.B. Herz-Kreislauf, Stress)
  8. Soziale Probleme / eingeschränktes Freizeitverhalten
  9. Ausstieg / Belastungsabbau im Alter
  10. Geringere Möglichkeiten zur Fort- und Weiterbildung
  11. Mehrarbeit / Freizeitausgleich

 

Empfehlungen zur Schichtplangestaltung

Aus den Ergebnissen lassen sich folgende Empfehlungen zur Gestaltung von Schichtarbeit ableiten, die auch von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin befürwortet werden:

  • Die Anzahl der aufeinanderfolgenden Nachtschichten sollte möglichst gering sein, möglichst nicht mehr als drei.
  • Nach einer Nachtschichtphase sollten möglichst 24 Stunden arbeitsfreie Zeit folgen.
  • Geblockte Wochenendfreizeiten sind besser als einzelne freie Tage am Wochenende.
  • Mehrbelastung sollte durch Freizeit ausgeglichen werden.
  • Schichtpläne sollten vorwärts rotieren.
  • Die Frühschicht sollte nicht zu früh beginnen.
  • Die Nachtschicht sollte möglichst früh enden.
  • Die Massierung von Arbeitstagen oder Arbeitszeiten auf einen Tag sollte begrenzt werden.
  • Die Schichtdauer sollte von der Arbeitsschwere abhängig sein. Bei ungleichen Schichtlängen sollte die Nachtschicht kürzer sein.
  • Schichtpläne sollen vorhersehbar und überschaubar sein.

 

Akzeptanzprobleme

Auch bei den Arbeitswissenschaftlichen Empfehlungen kann es zu Akzeptanzproblemen kommen, da viele Schichtarbeitnehmer subjektiv den Eindruck haben, dass sich durch lange Schichtrhythmen der Körper an die Nachtschicht anpasst. Eine wirkliche Anpassung der Körperfunktionen an die Nachtarbeit findet jedoch definitiv nicht statt!

Phasen der Veränderungen

Phase 0: Vertrautes, Gewohntes, Bekanntes, Lieb Gewonnenes

Phase 1: Schock / Konfusion

Phase 2: Abwehr / Flucht

Phase 3: Nachdenken / Nachfragen

Phase 4: Ausprobieren / Einsatz von Neuem

Phase 5: Erfolg oder Misserfolg

Phase 6: Beibehalten / Systematisieren / Verbessern

 

Empfehlenswert ist, die Hemmnisse und Widerstände der Mitarbeiter zunächst durch eine Mitarbeiterbefragung aufzunehmen und auszuwerten.

Der Abbau der Widerstände kann dann gezielt durch eine ausführliche Kommunikation, durch Weitergabe detaillierter Informationen und Partizipation der betroffenen Mitarbeiter erfolgen. Dabei sollten die Phasen der Veränderungen aus der o. a. Abbildung berücksichtigt und verinnerlicht werden.

Nach ca. einem ¾ Jahr nach der Neueinführung kurzer Schichtrhythmen sollte eine erneute Befragung durchgeführt. Erfahrungsgemäß erhöht sich die Akzeptanz durch das selbst Erleben.


Verfasserin: Dipl.-Betriebswirtin (VWA) Petra Strahl
Flextime Consult Arbeitszeitberatung
Walderseestr. 14a, 30177 Hannover
Kontakt: buero(ät)flextime-consult.de

Literaturhinweis :
Schichtarbeit, Schriftenreihe „Humanisierung des Arbeitslebens“ Band 57, Hrsg. Bundesminister für Forschung und Technologie
Leitfaden zur Einführung und Gestaltung von Nacht- und Schichtarbeit, Hrsg. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

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